| In der Moi Avenue in Nairobi |
„Nairobi ist so etwas wie Kenia
in einem Brennglas: die ganze Gesellschaft mit allen ihren Widersprüchen
zusammengezogen in einer Stadt.“ Dieses Zitat von Ingrid Laurien aus ihrem Buch
„Kenia – Ostafrika für Neugierige“ beschreibt ziemlich gut, wie wir Nairobi
wahrgenommen haben, als wir unser verlängertes Wochenende – in der Schule sind
gerade half-term Ferien – dort verbrachten. Das Buch ist übrigens nur zu
empfehlen, falls man sich für Kenia interessiert, da es anhand persönlicher
Eindrücke und langjähriger Erfahrungen einer deutschen Einwanderin einen
lebendigen und differenzierten Einblick in die kenianische Geschichte und
Gesellschaft gibt.
Allein die Fahrt nach Nairobi war
schon ein Erlebnis! Für nur 9 Euro hatten wir mit dem Reisebus nicht nur ein
günstiges Transportmittel, sondern quasi eine 6-stündige Safari durch die
kenianische Landschaft gebucht. Als wir Kisii verließen, war die Aussicht noch
geprägt von immergrünen Bergen, die sich in sanften Wogen durch die Landschaft
zogen und mit kleinen Häusern und Hütten besprenkelt waren, deren Blechdächer
silbern in der Sonne glänzten. Zwischen den Kaffee-, Tee- und
Zuckerrohr-Feldern, die wie ein karierter Teppich die Hügel bedeckten, wuchsen
in üppiger Pracht verschiedenste Bäume, Büsche und Bananenstauden gen Himmel.
| Umgebung von Kisii |
Ab
und zu fuhren wir dann durch einige kleinere Ortschaften und Städte, deren
buntes Treiben man kaum in Worten wiedergeben kann. Vor den dicht an dicht
gebauten Shops, deren Steinfassaden mit bunter Werbung – meist für
Handyanbieter, Kaugummi oder Coca Cola – bemalt waren, saßen die Verkäufer vor
ihren Planen mit Altkleidung und die Marktfrauen vor ihren behelfsmäßig
zusammengezimmerten Gemüseständen und warteten auf ihre Kunden. Zwischendurch
knatterten die Piki-Piki-Fahrer vorbei, ein paar Hühner schauten aus ihren
Ställen und die Ziegen grasten am Straßenrand, bevor sie dann in buntem
Schriftzug als „Nyama Choma“ („Geröstetes Fleisch“) in kleinen Restaurants zum
Verzehr angeboten wurden.
Nach mehreren Stunden und einem kurzen Zwischenstopp in
Narok sahen wir dann plötzlich eine ganz andere Kulisse an unserem Fenster
vorbeiziehen. Die Landschaft wurde flacher und uns bot sich ein Blick über
weite, gelbgrüne Ebenen, die vereinzelt mitKakteen, Büschen und Schirmakazien
bestückt waren. Ab und zu konnte man ein paar Gazellen am Straßenrand stehen
sehen und in der Ferne führten die Massai ihre Ziegen, Schafe und Kuhherden
über das Grasland. Mittendrin sahen wir ein paar Paviane an der Straße sitzen
und an Maiskolben knabbern. Anna behauptet, sogar ein Zebra gesehen zu haben.
Jetzt können wir uns den Ausflug in den Nationalpark ja schon fast sparen ;).
Umso größer war dann der Schock,
als wir schließlich in Nairobi ankamen. Nairobi ist eine riesige, laute,
dreckige und überfüllte Metropole, deren Skyline von glänzenden Hochhäusern
geziert wird und den Metropolen in Europa, Amerika oder Asien in nichts
nachsteht.
| Nairobi Skyline - Blick vom KICC Tower |
Jeden Abend (und jeden Morgen) versinkt die Stadt im Stau – es ist
Feierabendverkehr und tausende kenianischer Geschäftsleute wollen aus ihren
Büros und Geschäften zurück zu ihren Familien. Es mangelt der Stadt an
öffentlichen Verkehrsmitteln, ein Straßen- oder U-Bahn-Netzwerk existiert nicht
und die unregelmäßig fahrenden Kleinbusse – „Matatus“ – sind ständig
überbesetzt. Also blieben wir über eine Stunde in einer langen, sich schleichend
bewegenden Autoparade stecken, bis wir endlich mit dem Taxi in unserem Hotel
ankamen.
| Blick über Nairobi |
| Taxifahrt mit Samuel |
Ich finde es wichtig, diese Probleme nicht als inhärentes Defizit der kenianischen Staatsführungzu betrachten, sondern es vor dem Hintergrund der Kolonialisierung zu begreifen. Mit Ingrid Lauriens Worten: „Damals schuf die britische Kolonialherrschaft ein willkürliches Gebiet ohne kulturellen, ökonomischen oder geografischen Zusammenhang und nannte es einen Nationalstaat. Sie teilte die Bevölkerung in unterschiedliche ‚Stämme‘ ein, spielte diese gegeneinander aus und legte die Grundlage für eine ungerechte Verteilung des Landes. Dann versah sie das Ganze mit einer vorbildlichen demokratischen Verfassung nach dem Westminster-Modell und zog sich zurück. Dass das nicht funktionieren konnte, liegt auf der Hand.“
| Parkanlage um den KICC Tower |
Ich habe Samuel gefragt, ob er es
bedauert, dass Kenia kolonialisiert und zu dem Staat gemacht wurde, der er
heute ist. Darauf antwortete er mir: „Wir können nicht mehr zurück. Wir müssen
lernen, als eine Nation zusammenzuleben. Das ist wie wenn ein Mann mehrere
Frauen hat. Es ist machbar, aber kompliziert. Man muss sich anstrengen, um die
beiden miteinander zu harmonisieren. Falls jemand eine Medizin hat, die die
Menschen in Kenia dazu bringt, wie Brüder zusammenzuleben, dann nur her damit!
Er würde dafür hoch belohnt werden.“
| Uhuru Highway in Nairobi |
| Auf dem Massai Markt |
Später am Nachmittag haben wir
uns mit Salome, unserer Koordinatorin von Via e.V., in einem schicken Café
getroffen, wo man sogar Heinz-Ketchup zu den Pommes essen und Eiskaffee
bestellen konnte. Wenn man nach westlichen Annehmlichkeiten und Köstlichkeiten
sucht, dann findet man sie in Nairobi. Von der Schwarzwälder Kirschtorte bis
zur italienischen Pizza.
| Im Cafe Deli |
| Torte mit Latte Macchiato... Hmmmm |
Die gab es dann auch am Abend, als wir in ein
italienisches Nobelrestaurant einkehrten. Wir hatten mit einer urigen Osteria
gerechnet und fanden uns dann plötzlich in einem festlich beleuchteten und mit
Feuerofen aufgewärmten Garten wieder, in dem die Kellner einen Aperitif zur
Bestellung reichten und eine Live-Band gemütlichen Jazz spielte.
| Italienische Romantik |
| Tobi bekommt endlich seine langersehnte Pizza! |
Die Gegensätze
hätten wohl kaum krasser ausfallen können, da uns kurz vorher James, ein
Hotelangestellter, von seiner Lebensgeschichte erzählt hatte. Er war als Waise
im Slum aufgewachsen und hat wie so viele der Kinder Klebstoff geschnüffelt, um
den Hunger zu vertreiben. Irgendwann wurde er dann von einer gutherzigen Frau
gerettet und in ein Kinderheim gebracht. Er kam in die Schule, wo er zwar vier
Mal die Klasse wiederholen musste, es aber so weit schaffte, dass er nun an der
Uni Chinesisch und Französisch studiert, im Hotel arbeitet und Touren für die
Touristen anbietet. Daran mussten wir unweigerlich denken, als wir uns die
beste Pizza Capricciosa aller Zeiten auf der Zunge zergehen ließen. Ohne es
verdient zu haben, hatten wir das Glück, in einer reichen, privilegierten Elite
aufgewachsen zu sein, in der uns alle Türen offen stehen. Und irgendwie
erschlich mich immer mehr das Verständnis,
dass wir nur so viel haben, weil andere so wenig haben. Unser
Fortschritt und Reichtum in den westlichen Industrienationen basiert
größtenteils darauf, dass wir die Ressourcen (Landflächen, Nahrungsmittel,
Arbeitskräfte…) anderer Länder ausbeuten und zu unserem Vorteil vermarkten.
Irgendwie weiß man das auch mehr oder weniger, aber es ist etwas ganz Anderes,
diese Umstände mal aus der Perspektive der „Anderen“ zu erleben. Meine
Umgangsweise damit reicht von Betroffenheit und Schuldgefühlen über Dankbarkeit
für all das Gute, was mir geschenkt wurde, bis hin zu kurz aufflammendem
politischen Aktivismus: Kann man denn gar nichts daran verändern? Kann ich mir
durch Fairtrade-Produkte meinen Ablass erkaufen oder müsste man nicht
strukturell etwas ändern? Ich finde, der Kurzfilm „The Story of Solutions“ aus
dem Story-of-Stuff-Projekt aus den U.S.A. zeigt ein paar Handlungsalternativen
und Lösungsansätze zu dieser Frage auf und regt zum Umdenken an. Am Ende trägt
jeder selbst die Konsequenzen für seine Handlungen.
Doch nun zu einem schöneren Thema
unter dem Motto: „Leben ist das, was passiert, während man andere Pläne macht.“
Eigentlich wollten wir am Sonntag das indische Viertel erkunden, dort die
Moschee besuchen und am Ende auf ein Musikfestival gehen. Doch irgendwie waren
Tobi und ich zu verpeilt dafür. Wahrscheinlich hat uns Anna gefehlt, die sonst
immer alles durchorganisiert, aber leider von einem Magendarm-Infekt außer
Gefecht gesetzt wurde – pole, pole, Anna. Im Endeffekt haben wir uns verlaufen
und sind in einem Sikh-Tempel gelandet. Dort wurden wir von Priestern
empfangen, in die Tempelhalle zum Beten geführt und danach mit köstlichem
indischen Essen beschenkt. Die Offenheit gegenüber anderen Religionen und die
Gastfreundschaft der Sikh haben uns tief beeindruckt. Es war ein starker
Gegensatz zu unserem kenianischen Alltag, in dem wir schief angeguckt werden,
wenn wir zugeben, nicht christlich zu sein, und uns ständig fragen, ob unser
Gegenüber es nur auf unser Geld abgesehen hat. In der Ruhe des Tempels habe ich
mich wie zu Hause gefühlt. Die einzigen Bilder, die von diesem Erlebnis
existieren, befinden sich allerdings in meinem und Tobis Kopf ;).
Auf dem Weg zum Musikfestival
sind wir am falschen Ort gelandet, weil es neuerdings verlegt wurde. Wir
befanden uns also in einer Art Freizeitpark, wo arabische Familien Urlaub
machten, auf Pferden ritten und über den See paddelten. Wo wir schonmal da
waren, schauten wir uns schließlich die Krokodile an, die dort in einem Minizoo
gehalten wurden. So konnten wir zwar kein Musikfestival besuchen, dafür aber
ein Babykrokodil in der Hand halten.
| Im Freizeitpark |
Irgendwie habe ich immer mehr das Gefühl,
dass mein Jahr hier unter dem Motto: „Es kommt immer anders als man denkt.“
läuft ;). Aber irgendwie wird es am Ende trotzdem schön :).
Als wir schließlich im Bus auf
dem Rückweg saßen und nach der langen Reise wieder in die grünen Berge des
kenianischen Hochlands eintauchten, fühlten wir uns wie zu Hause. Aus dem großen,
stressigen Nairobi raus kam uns das kleine Kisii wie eine Oase der Ruhe vor.
Tobi meinte dazu: „Deshalb macht man doch Urlaub. Damit man sich nachher wieder
auf zu Hause freut.“ Und das hat in unserem Fall zumindest funktioniert ;).