Samstag, 22. August 2015

Oh Kenya, my Love - eine Liebeserklärung

Im Folgenden findet ihr eins der Gedichte, die ich auf dem Kistrech Poetry Festival 2015 in Kisii vorgetragen habe, und ich finde, es schließt meinen Blog über meinen einjährigen Aufenthalt in Kenia ganz gut ab (weiter unten erst im Original, dann übersetzt auf deutsch). Es heißt zwar "Oh Kenya, my Love", ist aber wohl eher ein soziopolitisches Statement als eine kitschige Liebeserklärung. Deswegen kommt letztere gleich im Anschluss ;).


Wenn ich so überlege, was ich an Kenia bzw. genauer gesagt Kisii wirklich liebe und auch vermissen werde, fallen mir verschiedene Dinge ein. Zuerst einmal wahrscheinlich die übergroßen, weichen Avocados, die als Creme aufs Toast einfach phantastisch schmecken und von denen wir jeden Morgen zum Frühstück eine vernichtet haben! 


 
Ein Prachtexemplar!


Auch die frischen, süßen Früchte, die Ananas, die man einfach so am Straßenrand kaufen kann. Generell die unzähligen kleinen Shops, Dukas genannt, die mit ihren farbenprächtigen Fassaden das Stadtbild auf kreativ-chaotische Weise unglaublich prägen. Das bunte Treiben in der Stadt aus Marktfrauen und Geschäftsmännern, hier wird eine Tür geschweißt, dort werden Haare geflochten, vieles passiert unmittelbar auf der Straße. 

 
Hauptverkehrskreisel in Kisii mit ein paar Straßenständen


Die Kühe, die seelenruhig neben dem Verkehr her spazieren als wären sie vollkommen gleichberechtigte Mitbürger, die gerade auf ihrem Nachhauseweg sind. Die Piki-Fahrten auf bunt beklebten Motorrädern aus der Stadt raus, abends wenn die Landschaft ins goldene Licht der untergehenden Sonne getaucht ist. Oder auch die unbequem-gemütlichen Fahrten im Matatu inklusive Afro-Beat, stundenlang prächtige Landschaften an einem vorbeiziehen sehen und dann dieses Gefühl von nach-Hause-kommen, wenn man mehr und mehr in die grünen Hügel Westkenias eintaucht. Überhaupt dieses Farbenspiel aus sattem Grün der Bananenstauden im Kontrast zur rotbraunen Erde vor blau leuchtendem Himmel werde ich wohl im grauen Deutschland vermissen. 

 
eine Kuh am Straßenrand


eine der ersten Piki-Fahrten


Kisii im Sonnenuntergang

Dann dieser fast schon körperlich intensive Moment der Erlösung, wenn nach Wochen der Trockenzeit endlich wieder der erste Regen fällt. 

 
Regen wird hier als ein Segen gesehen - verständlicherweise!

Und ich werde mich wohl erstmal wieder an die wenigen Sonnenstunden gewöhnen müssen und dass man nicht mehr morgens und abends am Stand der Sonne erkennen kann, wie spät es gerade ist. Denn in Deutschland wird jetzt erstmal der Herbst kommen, mit dunklen Tagen und kaltem Wetter. Aber das ist auch etwas, worauf ich mich freue. Mantel und Stiefel anziehen und durch die bunten Herbstblätter spazieren gehen, es sich mit einer Tasse Tee drinnen bei Kerzenlicht gemütlich machen. Und wenn dann erst die Vorweihnachtszeit kommt, mit Lebkuchen und Lichterspiel, weiß man doch irgendwie auch, was man an Jahreszeiten zu schätzen hat ;). Ich glaube, es gibt letztendlich in allen Orten der Welt etwas, was einzigartig ist und was man vermissen kann, wenn man einmal dort war. Und das ist doch irgendwie auch das Schöne daran. Im Grunde sind es aber vor allem die Menschen, die einen an einen bestimmten Ort binden. Und die diesen Ort zu einem Zuhause machen. Und die man wahrscheinlich am meisten von allem vermisst. Ich habe letztens einen schönen Spruch gelesen, der das auf den Punkt bringt, was ich mir manchmal denke:

Wenn du einmal wahrhaft gereist bist, wie kann dann jemals alles von dir zur gleichen Zeit an einem Ort sein?

 
Unser Zuhause für das letzte Jahr... natürlich nicht immer mit Regenbogen ;)

Andererseits neigt man ja immer dazu, alles durch die rosarote Brille zu sehen, sobald es vorbeigeht. Und es gibt definitiv auch Seiten meines Lebens hier in Kenia, die ich nicht vermissen werde oder die eher schwierig für mich waren und die möchte ich auch nicht unter den Teppich kehren. Ich glaube nicht, dass ich hier in Kisii für immer leben könnte, einfach, weil man immer der mzungu bleibt, egal wie gut man sich eingelebt hat oder wie perfekt man Suaheli sprechen kann. Und je länger man hier ist, desto schwieriger ist es, zu ertragen, dass man auch nach einem Jahr (oder mehreren), sobald man seinen Freundes- und Bekanntenkreis verlässt, wieder der reiche, Weiße Touri ist. Und dass einem immer noch an jeder Ecke „mzungu!“ hinterher gerufen wird, auch wenn es nicht böse gemeint ist. Und dass man an schlechten Tagen von Piki-Fahrern in nervige „How is Germany?“-Gespräche verwickelt oder von wildfremden Menschen angegrabscht oder ausgelacht oder von Kindern mit Steinchen beworfen wird. Dass man nicht einfach mal in Ruhe durch die Stadt oder in den Park gehen kann, ohne die Attraktion des Tages zu sein. Da freue ich mich dann doch auf die Anonymität einer deutschen Großstadt. Aber es war auf jeden Fall sehr lehrreich für mich, einmal im Leben zu einer offensichtlichen gesellschaftlichen Minderheit zu gehören und die Auswirkungen auf meinen Alltag zu spüren, selbst wenn ich hier eine positiv besetzte Rolle eingenommen habe. Für Ausländer in Deutschland, die sicher nicht immer mit offenen Armen, einem „Hey, wie geht’s dir?“ und einem sich anschließenden „Willkommen in Deutschland!“ empfangen werden, muss es noch viel, viel schwieriger sein…

Und damit verabschiede ich mich vorerst aus Kenia. Es war eine unvergessliche Zeit für mich, nicht immer die einfachste und euphorischste, ich wurde mit vielen persönlichen Herausforderungen konfrontiert, aber ich glaube, dass ich an ihnen gewachsen bin und auch zurück in Deutschland noch weiter daran wachsen werde. Die Reise ist noch nicht vorbei ;). The Journey to NowHere :).

Hier das Gedicht: (weiter unten auf Deutsch)

Oh Kenya, my Love

Oh Kenya, my love.
If I had to paint you, I’d paint you as a woman.
Cause not only did the cradle of your valleys give birth
to that strange species which now crowds the earth
but also cause you have this strength and endurance
that it needs to hold together a family in times of turbulence.
And your family might be among the most diverse I’ve ever seen.
Although it was founded on an injustice that should never have been,
you’ve made this country your kingdom and you are the queen.

Oh Kenya, my love.
If I had to paint you, I’d paint you with a thousand tongues.
Cause the air that you breathe through your lungs
leaves your lips in a melody of a hundred harmonies
which might sound to a stranger like the buzzing of a billion bees
but it contains the beauty of each and every language that you speak
and although it may disrupt you, it’s what makes you so unique.
Oh Kenya, compared to the challenges you have to face every day,
building the tower of Babel was just a child’s play.

Oh Kenya, my love.
You’re stuck in corruption beyond reason
like your feet get stuck in mud during a rainy season.
But I know that with time and proper gardening
if you remove all the harmful seeds and bad weeds
even the thickest mud can be transformed into something nourishing.
You’re certainly blessed with the richest soil
but oh Kenya, my love, I just know too well
that social injustice still keeps you under its spell.

Oh Kenya, my love.
On your wrists and ankles I still see
the marks of the colonial shackles
that keep you from being free.
It’s like your hips already swing
to the beats of a modern melody
but in your head you still sing
the songs from the past,
repeatedly.

Oh Kenya, my love.
I see it in your eyes
that you keep dreaming the American dream
but is it as glorious as it might seem?
Could you tell the difference between truth and lies?
Does progress only have one direction?
And is western culture more like an infection?
You believe in God, education and soda.
Is heaven a place you can reach with a boda-boda?

Oh Kenya, my love.
You can be as sweet as the sugar in your black tea,
but then again, your red rage can make me flee.
And despite all the conflicts that tear you apart,
green is the color of hope and of mama miti’s heart.
For in the end, I just hope for you,
that your dream of peace will finally come true.
And while the white clouds come and go
daima mimi mkenya, mwananchi mzalendo.


Oh Kenia, meine Liebe

Oh Kenia, meine Liebe.
Wenn ich dich malen müsste, würde ich dich als eine Frau malen.
Denn nicht nur hat die Wiege deiner Täler diese komische Spezies zur Welt gebracht, die heute die Erde bevölkert,
sondern auch, weil du diese Stärke und Ausdauer hast, die es braucht,
um eine Familie in Zeiten der Turbulenzen zusammenzuhalten.
Und deine Familie ist wohl eine der vielfältigsten, die ich je gesehen habe.
Obwohl sie auf einer Ungerechtigkeit gegründet wurde, die niemals hätte sein sollen,
hast du dieses Land zu deinem Königreich gemacht und du bist die Königin.

Oh Kenia, meine Liebe.
Wenn ich dich malen müsste, würde ich dich mit tausend Zungen malen.
Denn die Luft, die du durch deine Lungen atmest,
verlässt deine Lippen in einer Melodie von hundert Harmonien,
die für einen Fremden wie das Summen von Billionen Bienen klingen mögen,
aber sie enthält die Schönheit jeder einzelnen Sprache, die du sprichst
und auch wenn es dich zerreißen mag, ist es das, was dich so einzigartig macht.
Oh Kenia, verglichen mit den Herausforderungen, mit denen du jeden Tag konfrontiert wirst,
war der Turmbau zu Babel nur ein Kinderspiel.

Oh Kenia, meine Liebe.
Du steckst in Korruption fern von jeglicher Vernunft
so wie deine Füße im Schlamm stecken während einer Regenzeit.
Aber ich weiß, dass mit der Zeit und mit richtiger Gartenarbeit,
wenn du all die schädlichen Samen und das schlechte Unkraut entfernst,
sogar der dickste Schlamm in etwas Nährreiches umgewandelt werden kann.
Du bist sicherlich gesegnet mit der reichsten Erde,
aber oh Kenia, meine Liebe, ich weiß nur zu gut,
dass du immer noch von sozialer Ungerechtigkeit verhext bist.

Oh Kenia, meine Liebe.
An deinen Hand- und Fußgelenken seh ich immer noch
die Spuren der kolonialen Ketten,
die dich davon abhalten, frei zu sein.
Es ist so als würde deine Hüfte schon zu den Rhythmen einer modernen Melodie schwingen,
aber in deinem Kopf singst du immer noch die Lieder der Vergangenheit, wieder und wieder.

Oh Kenia, meine Liebe.
Ich seh es in deinen Augen,
dass du weiterhin den amerikanischen Traum träumst,
aber ist er so glorreich wie er scheint?
Könntest du den Unterschied zwischen der Wahrheit und Lügen erkennen?
Hat Fortschritt nur eine Richtung?
Und ist die westliche Kultur mehr wie eine Infektion?
Du glaubst an Gott, Bildung und Softgetränke.
Ist der Himmel ein Ort, den du mit dem Boda-Boda (Motorradtaxi) erreichen kannst?

Oh Kenia, meine Liebe.
Du kannst so süß sein wie der Zucker in deinem schwarzen Tee,
aber dann kann mich deine rote Wut auch wieder in die Flucht zwingen.
Und trotz all der Konflikte, die dich zerreißen,
ist grün die Farbe der Hoffnung und von Mama Mitis (Wangari Maathais) Herz.
Denn am Ende hoffe ich einfach nur für dich,
dass dein Traum von Frieden endlich wahr wird.
Und während die weißen Wolken kommen und gehen,
werde ich für immer ein(e) Kenianer(in) bleiben, ein(e) vaterlandsliebende(r) Bürger(in).

Lerndienst - ein Fazit



In meinem Fazit möchte ich nicht  mehr so viel Kritik am Freiwilligendienst (oder eher an seiner Umsetzung) üben, da ich dies schon in meinem Bericht über Freiwilligenarbeit und Spendengelder ausreichend getan habe. Insgesamt kann ich das Fazit ziehen, dass ein interkultureller Austausch auf Freiwilligenbasis in der Theorie eine tolle Sache ist, da es das gegenseitige Verständnis fördern und zu einem Perspektivwechsel führen kann. Außerdem kann es junge Menschen zu gesellschaftlich-politischem Engagement anregen, was besonders in unserer Generation der „Politikverdrossenheit“ sicher nichts Schlechtes ist. Trotzdem ist die Schieflage zwischen Ländern des Globalen Nordens und des Südens einfach noch zu groß als dass so ein Austausch wirklich auf Augenhöhe passieren könnte. Ich glaube aber, dass sich der weltwärts-Freiwilligendienst immer mehr in die richtige Richtung weiterentwickelt, nicht nur durch interne Reflektion und Kritik, sondern z.B. auch durch Rückkehrer-Engagement und Öffentlichkeitsarbeit. Der Entwicklungsprozess ist auch für das weltwärts-Programm selbst noch nicht abgeschlossen.

Doch jetzt möchte ich zu dem Punkt kommen, der für mich am wichtigsten ist: weltwärts bezeichnet sich selbst als „Lerndienst“. Deswegen habe ich mir für meinen Abschlussfazit überlegt: „Was habe ich eigentlich gelernt?“ und das in meinen persönlichen „Top Ten“ zusammengefasst.

#1 Menschen in unterschiedlichen Ecken der Welt sind nicht grundsätzlich verschieden.
Ich war zwar noch nicht überall in der Welt, aber ich glaube, ich kann mit einiger Sicherheit sagen, dass Menschen egal welcher Nationalität oder Kultur sie angehören, sich grundsätzlich nach den gleichen Dingen sehnen. Jeder wünscht sich doch irgendwie Liebe und Anerkennung von Anderen und möchte ein glückliches und erfolgreiches Leben führen. Wie jeder einzelne Glück und Erfolg für sich definiert, ist dann wohl unterschiedlich. Aber manche Menschen aus westlichen Ländern scheinen das Leben in ärmeren Ländern fast schon zu romantisieren, nach dem Motto: „Arm, aber glücklich. Die sind eben schon mit wenig zufrieden.“ Und das würde ich so nicht unterschreiben. Nur, weil man sich nicht mehr als ein kleines Lehmhaus leisten kann, heißt das nicht, dass man nicht doch von einem Flachbildfernseher oder einer Karriere als Geschäftsmann träumt. Streben ist menschlich. Und Glück hängt von der inneren Einstellung ab. Armut (soweit es keine existenzielle ist) oder Reichtum hat darauf wenig Einfluss.

#2 Wer die Welt verändern möchte, sollte bei sich selbst anfangen.
Ich glaube, dass viele Freiwillige aus westlichen Ländern in wirtschaftlich ärmere Länder gehen, um ihr bewusstes oder unbewusstes Helfersyndrom auszuleben. Wer kann sich da schon zurückhalten, wenn man für ein bisschen lächerliches Kleingeld im Monat einem Kind in Afrika die Schulgebühren bezahlen und damit eine ganze Familie glücklich machen kann? Oder wenn man durch das Sammeln von Spendengeldern gleich eine komplette Schule aufmöbeln kann? Ich habe aber während meiner Arbeit hier gemerkt, dass Geld- und Sachspenden das Problem nicht an der Wurzel packen und die wirtschaftlich schwachen Länder nur noch abhängiger von diesen Hilfsleistungen machen. Vielmehr sollte man sich – meiner Meinung nach –auf strukturell politischem Niveau (z.B. durch Demos etc.) dafür engagieren, dass diese Länder wirtschaftlich und politisch unabhängiger vom Westen werden und so die Kraft und Verantwortung erlangen, sich selbst zu „helfen“. Im Kleinen fängt das schon damit an, seinen alltäglichen Konsum kritisch zu hinterfragen und sich über die Konsequenzen seiner Handlungen Gedanken zu machen. In Deutschland braucht es dafür noch viel mehr politische Bildung und Aufklärung.

#3 Meine Stereotype funktionieren nicht mehr.
Irgendwie muss doch jeder von uns zugeben, dass er irgendwelche Vorurteile über das Leben „in Afrika“ hat und es ist immer eine lehrreiche Erfahrung, solche Vorurteile abbauen zu können. Was ich hier in Kenia gesehen habe, war ein viel komplexeres Bild aus individuellen Lebensgeschichten, die im Grunde gar nicht so anders waren als die, die ich aus Deutschland kannte. Manche hatten mehr, andere weniger, manche kamen mehr zurecht, andere weniger. Manche waren konservativ, andere modern, manche waren herzlich, andere verschlossen, manche waren gebildeter, andere weniger. Vor allem aber besteht Afrika aus so vielen unterschiedlichen Ländern mit jeweils so vielen unterschiedlichen Regionen und Gesellschaftsschichten, Menschengruppen etc. Und irgendwie denke ich mir manchmal, dass jeder Mensch auch seine ganz eigene, persönliche „Kultur“ hat. Das Afrika oder den Kenianer gibt es einfach nicht.

#4 Man bekommt nicht immer das, was man will. Und das ist gut so.
Eine Erfahrung, die ich schon öfter in meinem Leben gemacht habe, war, dass ich irgendetwas unbedingt wollte und es dann nicht bekommen habe. Zum Beispiel hatte ich über eine andere Organisation ein Traumprojekt in Tansania gefunden, das einfach perfekt für mich zu sein schien – und wurde dort prompt abgelehnt. Manchmal muss man einfach lernen, sich mit dem zufrieden zu geben, was man hat. Und in diesem Fall war das für mich der Platz in der Kisii Special School in Kenia. Im Grunde weiß man ja nie, wie mein Leben anders gelaufen wäre, wenn… Aber diesem Gedankengang nachzuhängen macht für mich auch keinen Sinn. Und inzwischen habe ich hier so viele tolle Begegnungen und wertvolle Erfahrungen gemacht, dass ich es mir gar nicht mehr anders vorstellen kann. Manchmal muss man einfach loslassen können, dem Lauf des Lebens vertrauen und das Beste draus machen.

#5 Die Kunst, jeden zum Lehrer machen zu können.
Für mich ist es unglaublich wichtig, immer offen zu bleiben für neue Ansätze und Lebensweisen. Und ich bin der festen Überzeugung, dass man von jedem Menschen irgendetwas lernen kann. Erst habe ich gedacht, dass es für mich ein Problem sein könnte, mit zwei Freiwilligen zusammenzuwohnen, die 5-6 Jahre jünger sind als ich. Doch ich konnte von den beiden sehr viel lernen. Jeder Mensch hat das Potenzial, unser Leben in irgendeiner Art und Weise zu bereichern, wenn man nur bereit ist, sich darauf einzulassen. Diese Einstellung finde ich auch wichtig, wenn man einen Freiwilligendienst in einem Land des Globalen Südens absolviert. Viel zu oft fragt man sich: „Wie kann ich den Menschen hier helfen? Was kann ich ihnen beibringen?“ anstatt sich zu fragen: „Was kann ich eigentlich von ihnen lernen?“

#6 Routine wird unterschätzt.
Es gibt ja sicherlich einige Menschen, die sich manchmal denken: Wie gerne würde ich mal aus meinem grauen Alltag ausbrechen und diese ganze langweilige Routine hinter mir lassen? Dabei kann Routine, z.B. auf der Arbeit, auch etwas Schönes haben. In der Arbeit als Freiwillige ist man eigentlich immer nur dabei, sich selbst Aufgaben suchen zu müssen, nirgendwo bekommt man feste Vorgaben oder gar einen Erwartungshorizont. Das bringt zum einen natürlich viele Freiheiten mit sich, andererseits wünscht man sich manchmal auch einfach nur die Gewissheit, was man in den nächsten zwei Arbeitsstunden mit sich anfangen soll. Feste Aufgaben können auch viel Sicherheit und Entspannung mit sich bringen. Ich glaube, eine gute Balance zwischen Entfaltungsspielraum und Struktur ist entscheidend.

#7 Tu mehr von dem, was dich glücklich macht.
Während unseres Jahres hier in Kisii ist uns allen aufgefallen, wie wertvoll es ist, eine angebotsreiche Freizeitkultur zu haben. Es war für uns alle schwierig, hier in Kisii das zu finden, was uns in Deutschland immer Spaß gemacht oder uns wieder mit neuer Energie aufgeladen hat, z.B. Musikgruppen, Sportkurse, soziale Events, ins Kino, Konzert, in aller Ruhe in den Park oder wandern zu gehen. Trotzdem haben wir alle drei über die Zeit unsere eigenen Wege und Mittel gefunden, einen Ausgleich zur Arbeit in der Schule herzustellen, sei es durch wöchentliches Fußballspielen, joggen gehen oder Teilnahme am Poetry Club. Ich freue mich in Deutschland wieder darauf, mehr kulturelle und Freizeitangebote annehmen zu können, und habe gemerkt, wie wichtig das für mein persönliches Wohlbefinden ist.

#8 Es sind die kleinen Dinge.
Das klingt vielleicht etwas abgedroschen, aber im Grunde sind es wirklich die kleinen Dinge, die zum großen Glück beitragen. Klar ist es toll, innerhalb von ein paar Monaten vier afrikanische Länder zu bereisen, Silvester in Kapstadt zu feiern, auf einer Reitsafari Giraffen zu begegnen, in Wasserfällen zu baden oder mit Delfinen zu schwimmen. Das sind dann so kleine Momente der puren Euphorie! Aber was mich wirklich immer wieder glücklich macht, ist, abends in ein schönes, weiches Bett fallen zu können, und dazu hatte ich während meines Aufenthaltes hier leider nur selten die Gelegenheit (wir haben bei uns zu Hause auf Matratzen auf dem Boden geschlafen). Oder ein gutes Essen zu genießen. Ich bin zwar absoluter Avocado- und Chapati-Fan, aber ich freue mich auch schon wieder auf den deutschen Käse :)! Oder draußen im Regen zu tanzen. Oder eine Tasse Tee zu trinken. Oder ein gutes Gespräch mit Freunden. Das sind Dinge, die man (fast) täglich und (fast) überall auf der Welt genießen kann. Sie sind da, man muss sie einfach nur bewusst wahrnehmen.

#9 Familie und gute Freunde sind unschätzbar wertvoll.
Wenn man von einer Lebenssituation in die andere geschmissen wird, merkt man erst nach und nach, was die eigentlichen Konstanten im eigenen Leben sind. Welche Freunde bleiben, welche nicht. Und dass die eigene Familie etwas ist, was unersetzbar bleibt. Gerade als mzungu in Kisii war es unglaublich schwer, auf so kurze Zeit tiefe Freundschaften aufzubauen und Menschen zu finden, mit denen man auf einer Wellenlänge ist. Vor allem, weil man als Freiwillige/r irgendwie eine Extraposition hat und auch nicht in ein soziales Netzwerk, wie z.B. Schul- oder Studentenjahrgang, eingebettet ist. Manchmal neigt man als Mensch dazu, etwas Besonderes für selbstverständlich hinzunehmen. Ich schätze die Unterstützung sehr, die ich durch meine Familie und langjährigen Freunde immer wieder erfahre, und ich glaube, es tut ganz gut, das diesen Menschen auch ab und zu mal zu sagen: Ich weiß, dass ihr da seid, und das macht mich sehr glücklich.

#10 Probieren geht über Studieren.
Ich bin ja jemand, die sich gerne mit verschiedenen Philosophien und Weltansichten auseinandersetzt. Doch so viel man auch liest oder hört oder sich im Fernsehen anschaut, nichts wiegt so viel wie die eigenen Erfahrungen. Es gibt so viele schöne Lebensweisheiten, Gurus und Lebensratgeber, aber letzten Endes muss man die Erfahrungen doch am eigenen Leib machen. Niemand kann einem sagen, wie man sein Leben zu leben hat. Und sich allzu sehr an irgendwelchen Theorien festzuhalten, kann auch gefährlich sein. Ich vertraue darauf, dass jeder von uns das Potenzial hat, selbst zu erkennen, was für einen selbst und andere am besten ist, und danach zu handeln. Es braucht dafür nur ein bisschen Übung. Und man muss vor allem eins tun: vom Bildschirm weg und sich raus in die Welt wagen! Es lohnt sich! Ich habe in meinem Jahr in Kenia so vieles gelernt, was mir das Studium allein nie hätte bieten können.Und dafür bin ich unendlich dankbar.

Mittwoch, 19. August 2015

Kistrech Poetry Festival 2015


 
Ein Ereignis, von dem ich noch erzählen möchte, ist das Kistrech Poetry Festival, das hier Anfang August in Kisii stattgefunden hat. Christopher Okemwa, der Organisator, ist zufälligerweise unser Nachbar und so sind wir auch darauf gekommen. Ich habe ihn einfach gefragt, ob ich auf dem Festival nicht auch ein paar Gedichte vortragen könnte. Und obwohl die Bewerbungsfrist schon seit mehreren Monaten abgelaufen war, hat er eine Ausnahme gemacht und mich zugelassen, mit den Worten: „Das wird etwas Farbe ins Festival bringen!“ Ich fand die Bemerkung, die sicherlich auf meine Hautfarbe abzielte, ziemlich witzig, da in Deutschland ja normalerweise (und fälschlicherweise) von Schwarzen als „Farbige“ gesprochen wird. Wie dem auch sei, ich freute mich jedenfalls, spontan noch teilnehmen zu können, und musste erstmal mein Repertoire an Gedichten auf Englisch aufstocken, da das bisher doch recht mager ausfiel. Ich bin ja seit Anfang des Jahres Mitglied der Arts und Poetry Group der Uni in Kisii und konnte mein Glück kaum fassen, dass jetzt sogar noch ein internationales Poetry Festival in Klein-Kisii stattfinden sollte! Es kamen Künstler aus der ganzen Welt, z.B. aus Nigeria, Südafrika, Jamaica, den USA, Norwegen und den Bahamas. Ich glaube, so viel kulturelle Vielfalt auf einem Fleck hatte ich das ganze Jahr über nicht in Kisii gesehen.

 
einzig die Schuhmode gestaltete sich recht uniform ;)...


Den meisten Leuten in Kisii entging dieser wertvolle Glücksfall jedoch, da erstens im Voraus nicht genug Werbung gemacht wurde und zweitens die Studenten, auf die das Programm abzielte, gerade am Vortag ihre Semesterabschlussklausuren hinter sich gebracht hatten und nun bereits auf dem Weg nach Hause in die großen Ferien waren. So war das Publikum in der Hauptbibliothek der Uni, in der die Vorträge größtenteils stattfanden, relativ dürftig. Trotzdem war es für uns Poeten allein schon eine gute Möglichkeit, uns gegenseitig auszutauschen und den Vorträgen der anderen zuzuhören, und ich habe viel aus den 4 Tagen Poesieschwall mitgenommen. 

Da selbst viele der aus Übersee angereisten Künstler afrikanischer Herkunft waren, gab es viele Beiträge auf dem Festival, die sich mit afrikanischer Geschichte und Gesellschaft und vor allem afrikanischer Identität auseinandersetzten. Ich möchte für meinen Blog ein paar der Poeten und Poetinnen zitieren, erstens damit ihr einen kleinen Eindruck vom Festival erhaltet und zweitens, weil ich die Beiträge bemerkens- und teilenswert finde. Eins der Gedichte, die ich vorgetragen habe, ist übrigens in meinem Blogeintrag "Oh Kenya, my Love - eine Liebeserklärung" zu finden.

 
Palesa Sibiya, Performerin aus Südafrika



Ein Thema, was in den Beiträgen immer wieder zur Sprache kam, war Rassismus gegenüber Schwarzen und „People of Color“, wie sich Menschen bezeichnen, die in der Gesellschaft als "nicht-Weiß" gelten. Menschen afrikanischen Ursprungs (auch wenn dieser teilweise schon mehrere Generationen zurück liegt) werden heutzutage immer noch weltweit mit verschiedenen Formen von Rassismus konfrontiert und die Poeten und Poetinnen auf dem Festival konnten mir einige persönliche Beispiele von ihrem Leben in Europa, den USA, aber auch in Afrika selbst erzählen. In Südafrika zum Beispiel sind die sozialen Ungerechtigkeiten, die die Kolonialzeit mit sich brachte, auch heute noch spürbar und die gesellschaftliche Kluft zwischen Schwarzen und Weißen ist auch 21 Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung noch gewaltig. Palesa Sibiya, eine junge Südafrikanerin, hat darüber ein Gedicht mit dem Titel „21 Years“ (21 Jahre) verfasst, in dem sie schreibt (mehr oder weniger sinngemäß übersetzt):

„Ich wusste nicht, dass ich dem Untergang geweiht war, abgewrackt, verrottet, ungezogen und verdammt, weil ich es ablehnte, so zu sprechen wie sie. Deswegen spuckten sie auf meine Haut. Ihre Worte und Blicke beschmutzen und versklaven meine Rasse. (…) Sie lecken ihre Egos mit geliehenem Wohlstand und denken, sie hätten uns gesäubert, indem sie uns ihre Art und Weise aufgezwungen haben. Also hängen sie uns hoch oben auf wie ein Dartspiel und zielen nacheinander auf unsere Köpfe. Der Gewinner bekommt alles, denn Afrika ist im Ausverkauf. (…) ‚Wir sind die auserwählte Rasse‘ haben sie gesagt, ‚schaut euer eins doch mal an: unwürdig, visionslos, inkompetente Schweine‘ betonten sie. Ihre Worte hallten laut in meinem Kopf wider und setzten Erinnerungen frei, die in den verblassenden Farben der Regenbogennation unterdrückt waren. 

Du (damit ist Nelson Mandela gemeint) hast es versprochen. Du hast es versprochen, als du gesagt hast ‚Nie wieder soll es sein, dass dieses wunderschöne Land noch einmal die Unterdrückung des einen durch den anderen erfährt und die Unwürde erleidet, der Abschaum der Welt zu sein‘. Aber Vater, dieses System hat unsere Würde nicht wiederhergestellt. Wir leben immer noch in Hütten, wie menschliche Viehzucht. Inhalieren  gegenseitig unseren Atem. Unser Geist ist unterdrückt von den Ketten der Vergangenheit. Nichts hat sich wirklich verändert.Wir erkennen uns in unserem eigenen Land nicht wieder. Sogar unsere Bücher nennen uns ‚Wilde‘. (…) 21 Jahre später und der Wahlschein hat uns immer noch nicht die Freiheit zurückgegeben, die uns gestohlen wurde. Du hättest uns warnen können!“


 
Spontanauftritt von Godspower in der Mittagspause


Einer der Künstler, Godspower Oboido, war in Nigeria aufgewachsen und hatte in Russland und England studiert. Es fiel mir sofort der britische Akzent auf, der unüberhörbar bei jedem seiner „amazing!“-Ausrufe mitschwang. Er setzte sich sehr stark mit seiner afrikanischen Identität auseinander, mit der er in England und Russland natürlich noch stärker konfrontiert wurde als in seiner Heimat Nigeria. Teilweise erlebte er besonders in Saratow versteckten und offenen Rassismus, erntete starrende Blicke und wurde als „Neger“ bezeichnet. Diese Erfahrungen verarbeitet er auch in seinen Gedichten. Es gibt ein Gedicht von ihm, das mir besonders gefällt, weil es mit den typischen stereotypischen Vorstellungen über „Afrika“ aufräumt: „Africa Is Not My Country“ (Afrika ist nicht mein Land)

„Ich bin nicht eine gewöhnliche Idee im Kopf des Ausländers.
Nicht sein sinnloser Neger, der einen anderen frivolen Serienkrieg führt.
Ich bin nicht aus der Reihe der HIV infizierten Huren,
Ich bin nicht das Kind mit dem angeschwollenen Bauch,
mit Fliegen, die um seine Augen summen.

Ich bin nicht der Afrikaner des Ausländers.
Nein, ich bin nicht aus seinem nackten Afrika,
nicht aus dem Graben der Wilden,
die auf seine gütige Erlösung warten.
Ich bin nicht der Afrikaner im Kopf des Ausländers,
nicht aus dem Afrika, das wie er denkt in seiner Hosentasche des Kleingelds tanzt.

Sieh, wie sie von Afrika mit Verachtung sprechen
als ob wir verflucht wären zu sein, was wir sind.
Sie sprechen vom Primitiven,
aber die Zivilisation wurde einst von der Brust Afrikas gezogen,
vom Lehmfundament Ägyptens.

Sie sprechen von Afrika
wie vom Dorf meiner Großmutter, nur ein Fleck,
frei von Intelligenz und Kultur.
Lasst sie ihre eigenen Geschichten schreiben so wie wir unsere schreiben.

Sie sprechen von Afrika als einem unbelebten Platz,
abgesehen von Leuten auf Ein-Tages-Safaris,
die am nächsten Tag an Hunger sterben.

Sie sprechen oft von Afrika als einem Platz
verloren im Dschungel, im Nirgendwo,
wo tyrannische Affen die Bäume durchqueren
in einer Überleben-des-Stärkeren Show.

Sie sprechen von Afrika als meinem Land,
nicht einem Kontinent, dem zweitgrößten nach Asien.

Ich bin kein wahrer Afrikaner, sagen sie,
weil ich kein Suaheli sprechen kann.
'Das sprechen meine Freunde in Kenia
- also solltest du das auch, du bist doch Afrikaner, stimmt’s?'
Ja, stimmt!“

(aus der Gedichtesammlung „Songs of a Chicken Bone“ von Godspower Oboido)

Einige der Stereotype, die er beschreibt, sind nicht nur überholt, sondern auch gänzlich falsch. Zum Beispiel gab es entgegen der eurozentrischen Sichtweise verschiedene Kultur- und Zivilisationsformen nämlich schon in Afrika, bevor die Weißen kamen. Ziphozakhe Hlobo, eine der Poetinnen aus Südafrika, schreibt darüber in ihrem Blog: die südafrikanische Schulbilung sei "zu eurozentrisch und gibt kaum afrikanische Beispiele für Weltentdeckungen. Bedenkt, dass die erste Person, die einen Automotor gebaut hat, ein Afrikaner war, die ägyptischen Pyramiden wurden auf außergewöhnliche Art und Weise von Afrikanern gebaut, die Universität von Timbuktu (in Mali) war die erste Universität der Welt und afrikanische Könige und Königinnen trugen Juwelen, die von Afrikanern veredelt wurden, bereits vor dem Ausbruch der Kolonialzeit."


Zipho während einem ihrer Vorträge


Und auch das heutige, moderne Afrika entspricht längst nicht dem einseitigen Bild aus Leid und Unterentwicklung, das in den westlichen Medien übermittelt wird. Eine tolle Kampagne dazu, die zurzeit auf twitter kursiert, läuft unter dem Hashtag #TheAfricaTheMediaNeverShowsYou. Dabei posten afrikanische User Fotos von ihrem echten Leben und versuchen damit, die positiven und fortschrittlichen Seiten des Lebens in Afrika in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken.

In einem anderen Gedicht spricht Godspower darüber, wie seine Schwarzen „Brüder“ ihn verraten haben, weil sie den Stil der Weißen Kolonialisten kopieren, die einst so grausam zu ihnen waren. Erst haben sie Afrika besetzt, unter sich aufgeteilt und ausgeraubt und jetzt tragen die Afrikaner ihre westliche Mode, hören ihre Musik und kaufen ihre Produkte. Zu dieser Thematik hat auch Prof. Opal Palmer Adisa (aus Jamaica) einen leidenschaftlichen Vortrag gehalten, in dem sie aufrief: „Wir Afrikaner müssen aufhören, andere zu imitieren! Wenn ich nach Nairobi komme, sieht es aus wie ein kleines England! Wir müssen aufhören, Europa zu imitieren, wir müssen aufhören, die USA zu imitieren! Wir müssen anfangen, wir selbst zu sein! Wir brauchen Designer, Architekten und Schriftsteller, die unsere Zukunft gestalten und zwar nach afrikanischer Ästhetik! Es muss um uns gehen! Um Kenia, Äthiopien oder Südafrika. Um uns!“

Prof. Palmer Adisa liest aus ihrem Buch vor

Und auch Ziphozakhe schlussfolgert in ihrem Blog: "(...) dass im Grunde die Verantwortung bei jedem jungen Menschen liegt, die anhaltende Reise zur afrikanischen Unabhängigkeit zu unterstützen, von denen in politischen Bereichen über die Wissenschaft und Technologie bis hin zur Kunst, Bildung und so weiter. Lasst uns afrikanische Bücher kaufen, afrikanische Musik, Nahrungsmittel und Kleidung. Das sind Dinge, die wir täglich konsumieren, und wir müssen sicherstellen, dass sie unsere eigene Wirtschaft stärken." 

In einem ihrer Gedichte, das sie auf dem Festival vorgetragen hat, fordert Zipho dazu auf, sich aus der Vorherrschaft der westlichen Kultur zu befreien und politische Propaganda kritisch zu hinterfragen: „Freedom“ (Freiheit)

„(…) Während die Präsidenten sich in ihren schicken Büros verstecken,
füttern sie unsere Kinder mit Unterhaltungsjargon,
um ihren Geist zu verstümmeln und sie zu weniger kritischen Denkern zu machen.
Wir haben Mussolini und Hitler kritisiert,
aber schaut euch die Weltstruktur an!
Der Medienimperialismus bewirbt eine Kultur,
während er unsere Traditionen unter einen dicken Teppich kehrt.
Sie bauen ihre westlichen Schulen und Kirchen
und führen sogar den westlichen Akzent ein.
Sie industrialisieren unseren landwirtschaftlichen Raum,
um uns zu Sklaven in unserer eigenen Freiheit zu machen.
Sie haben die Essenz unserer Länder in Globalisierung umgeändert,
was zur Globalen Erwärmung geführt hat,
und dabei die vorausgegangenen Warnungen übersehen.
Effizienz brummt in allen Ecken der Bahnhofsstationen,
Taxilinien, fast-food Shops und Fabriken.
Zeit ist Geld und Geld ist Zeit und niemand hält an, um nachzudenken.

Politiker machen leere Versprechungen
und führen euch an, die deprimiert sind vom Fettabsaugen,
Abnehmprogrammen, Lippenspritzen
und Anti-Aging Produkten, Lindsay Lohan hat dies getan und Paris Hilton jenes.
Sie kommen mit Magersucht,
den Rückschlägen für den Feminismus,
dieser gruseligen Chirurgie-Kultur
über Mythen und Märchen und Illusionen und Phantasien,
damit meine Lippen aussehen wie die von Angelina Jolie!
Die lassen uns nur aussehen wie Zombies!

Genug mit den Lügen!
Füttert die Kinder mit politischen Grundsätzen,
lasst sie im dritten Spielraum verweilen,
zwischen der Wahrheit und eurer dummen Propaganda,
damit wir einen Spagat machen können bis wir eine Lösung zu diesem Rätsel finden.“

(Auszug aus "Freedom" von Ziphozakhe Hlobo, hier im Original zu finden) 

Ich finde, das ist ein Gedicht, das uns irgendwie alle betrifft und zum Nachdenken anregt. Zum Abschluss möchte ich eigentlich gar nichts mehr sagen, sondern die Texte für sich wirken lassen. Ich kann zwar leider nicht aus meiner Haut raus, aber manchmal denke ich mir, dass es schwierig ist, wenn wir aus der Position als privilegierte Weiße heraus versuchen, die Situation von Menschen hier in – ich sag’s jetzt mal allgemein – Afrika zu analysieren und zu beurteilen, weil wir immer unsere eigene kulturelle „Brille“ aufhaben, die wir nicht absetzen können. Vielmehr müssten die Menschen hier zu Wort kommen, gemeinsam diskutieren und für sich eine Lösung finden. Und deshalb finde ich es schön, dass sie durch solche Projekte wie das Kistrech Festival die Möglichkeit dazu bekommen. Und zumindest bei den Besuchern des Festivals, bei ihren Lesern und Leserinnen, bei mir und jetzt wahrscheinlich auch bei euch sind ihre Worte angekommen. Lasst uns darauf warten, dass sie Früchte tragen…


Poet*innen im Gespräch mit Studierenden aus Kisii