Wenn ich so
überlege, was ich an Kenia bzw. genauer gesagt Kisii wirklich liebe und auch vermissen werde, fallen mir
verschiedene Dinge ein. Zuerst einmal wahrscheinlich die übergroßen, weichen
Avocados, die als Creme aufs Toast einfach phantastisch schmecken und von denen
wir jeden Morgen zum Frühstück eine vernichtet haben!
Auch die frischen, süßen
Früchte, die Ananas, die man einfach so am Straßenrand kaufen kann. Generell
die unzähligen kleinen Shops, Dukas genannt, die mit ihren farbenprächtigen
Fassaden das Stadtbild auf kreativ-chaotische Weise unglaublich prägen. Das
bunte Treiben in der Stadt aus Marktfrauen und Geschäftsmännern, hier wird eine
Tür geschweißt, dort werden Haare geflochten, vieles passiert unmittelbar auf
der Straße.
Die Kühe, die seelenruhig neben dem Verkehr her spazieren als wären
sie vollkommen gleichberechtigte Mitbürger, die gerade auf ihrem Nachhauseweg
sind. Die Piki-Fahrten auf bunt beklebten Motorrädern aus der Stadt raus,
abends wenn die Landschaft ins goldene Licht der untergehenden Sonne getaucht
ist. Oder auch die unbequem-gemütlichen Fahrten im Matatu inklusive Afro-Beat,
stundenlang prächtige Landschaften an einem vorbeiziehen sehen und dann dieses
Gefühl von nach-Hause-kommen, wenn man mehr und mehr in die grünen Hügel
Westkenias eintaucht. Überhaupt dieses Farbenspiel aus sattem Grün der
Bananenstauden im Kontrast zur rotbraunen Erde vor blau leuchtendem Himmel
werde ich wohl im grauen Deutschland vermissen.
| eine der ersten Piki-Fahrten |
Dann dieser fast schon
körperlich intensive Moment der Erlösung, wenn nach Wochen der Trockenzeit
endlich wieder der erste Regen fällt.
Und ich werde mich wohl erstmal wieder an
die wenigen Sonnenstunden gewöhnen müssen und dass man nicht mehr morgens und
abends am Stand der Sonne erkennen kann, wie spät es gerade ist. Denn in
Deutschland wird jetzt erstmal der Herbst kommen, mit dunklen Tagen und kaltem
Wetter. Aber das ist auch etwas, worauf ich mich freue. Mantel und Stiefel
anziehen und durch die bunten Herbstblätter spazieren gehen, es sich mit einer
Tasse Tee drinnen bei Kerzenlicht gemütlich machen. Und wenn dann erst die
Vorweihnachtszeit kommt, mit Lebkuchen und Lichterspiel, weiß man doch
irgendwie auch, was man an Jahreszeiten zu schätzen hat ;). Ich glaube, es gibt
letztendlich in allen Orten der Welt etwas, was einzigartig ist und was man
vermissen kann, wenn man einmal dort war. Und das ist doch irgendwie auch das
Schöne daran. Im Grunde sind es aber vor allem die Menschen, die einen an einen
bestimmten Ort binden. Und die diesen Ort zu einem Zuhause machen. Und die man
wahrscheinlich am meisten von allem vermisst. Ich habe letztens einen schönen
Spruch gelesen, der das auf den Punkt bringt, was ich mir manchmal denke:
Wenn du einmal
wahrhaft gereist bist, wie kann dann jemals alles von dir zur gleichen Zeit an
einem Ort sein?
Andererseits
neigt man ja immer dazu, alles durch die rosarote Brille zu sehen, sobald es
vorbeigeht. Und es gibt definitiv auch Seiten meines Lebens hier in Kenia, die
ich nicht vermissen werde oder die eher schwierig für mich waren und die möchte
ich auch nicht unter den Teppich kehren. Ich glaube nicht, dass ich hier in
Kisii für immer leben könnte, einfach, weil man immer der mzungu bleibt, egal
wie gut man sich eingelebt hat oder wie perfekt man Suaheli sprechen kann. Und
je länger man hier ist, desto schwieriger ist es, zu ertragen, dass man auch
nach einem Jahr (oder mehreren), sobald man seinen Freundes- und Bekanntenkreis
verlässt, wieder der reiche, Weiße Touri ist. Und dass einem immer noch an
jeder Ecke „mzungu!“ hinterher gerufen wird, auch wenn es nicht böse gemeint
ist. Und dass man an schlechten Tagen von Piki-Fahrern in nervige „How is
Germany?“-Gespräche verwickelt oder von wildfremden Menschen angegrabscht oder
ausgelacht oder von Kindern mit Steinchen beworfen wird. Dass man nicht einfach
mal in Ruhe durch die Stadt oder in den Park gehen kann, ohne die Attraktion
des Tages zu sein. Da freue ich mich dann doch auf die Anonymität einer
deutschen Großstadt. Aber es war auf jeden Fall sehr lehrreich für mich, einmal
im Leben zu einer offensichtlichen gesellschaftlichen Minderheit zu gehören und
die Auswirkungen auf meinen Alltag zu spüren, selbst wenn ich hier eine positiv
besetzte Rolle eingenommen habe. Für Ausländer in Deutschland, die sicher nicht
immer mit offenen Armen, einem „Hey, wie geht’s dir?“ und einem sich
anschließenden „Willkommen in Deutschland!“ empfangen werden, muss es noch
viel, viel schwieriger sein…
Und damit
verabschiede ich mich vorerst aus Kenia. Es war eine unvergessliche Zeit für
mich, nicht immer die einfachste und euphorischste, ich wurde mit vielen
persönlichen Herausforderungen konfrontiert, aber ich glaube, dass ich an ihnen
gewachsen bin und auch zurück in Deutschland noch weiter daran wachsen werde.
Die Reise ist noch nicht vorbei ;). The Journey to NowHere :).
Hier das
Gedicht: (weiter unten auf Deutsch)
Oh Kenya, my Love
Oh Kenya, my love.
If I had to paint you, I’d paint you as a woman.
Cause not only did the cradle of your valleys give
birth
to that strange species which now crowds the earth
but also cause you have this strength and endurance
that it needs to hold together a family in times of
turbulence.
And your family might be among the most diverse I’ve
ever seen.
Although it was founded on an injustice that should
never have been,
you’ve made this country your kingdom and you are the
queen.
Oh Kenya, my love.
If I had to paint you, I’d paint you with a thousand
tongues.
Cause the air that you breathe through your lungs
leaves your lips in a melody of a hundred harmonies
which might sound to a stranger like the buzzing of a
billion bees
but it contains the beauty of each and every language
that you speak
and although it may disrupt you, it’s what makes you
so unique.
Oh Kenya, compared to the challenges you have to face
every day,
building the tower of Babel was just a child’s play.
Oh Kenya, my love.
You’re stuck in corruption beyond reason
like your feet get stuck in mud during a rainy season.
But I know that with time and proper gardening
if you remove all the harmful seeds and bad weeds
even the thickest mud can be transformed into
something nourishing.
You’re certainly blessed with the richest soil
but oh Kenya, my love, I just know too well
that social injustice still keeps you under its spell.
Oh Kenya, my love.
On your wrists and ankles I still see
the marks of the colonial shackles
that keep you from being free.
It’s like your hips already swing
to the beats of a modern melody
but in your head you still sing
the songs from the past,
repeatedly.
Oh Kenya, my love.
I see it in your eyes
that you keep dreaming the American dream
but is it as glorious as it might seem?
Could you tell the difference between truth and lies?
Does progress only have one direction?
And is western culture more like an infection?
You believe in God, education and soda.
Is heaven a place you can reach with a boda-boda?
Oh Kenya, my love.
You can be as sweet as the sugar in your black tea,
but then again, your red rage can make me flee.
And despite all the conflicts that tear you apart,
green is the color of hope and of mama miti’s heart.
For in the end, I just hope for you,
that your dream of peace will finally come true.
And while the white clouds come and go
daima mimi mkenya, mwananchi mzalendo.
Oh Kenia, meine
Liebe
Oh Kenia, meine
Liebe.
Wenn ich dich
malen müsste, würde ich dich als eine Frau malen.
Denn nicht nur
hat die Wiege deiner Täler diese komische Spezies zur Welt gebracht, die heute
die Erde bevölkert,
sondern auch,
weil du diese Stärke und Ausdauer hast, die es braucht,
um eine Familie
in Zeiten der Turbulenzen zusammenzuhalten.
Und deine
Familie ist wohl eine der vielfältigsten, die ich je gesehen habe.
Obwohl sie auf
einer Ungerechtigkeit gegründet wurde, die niemals hätte sein sollen,
hast du dieses
Land zu deinem Königreich gemacht und du bist die Königin.
Oh Kenia, meine
Liebe.
Wenn ich dich
malen müsste, würde ich dich mit tausend Zungen malen.
Denn die Luft,
die du durch deine Lungen atmest,
verlässt deine
Lippen in einer Melodie von hundert Harmonien,
die für einen
Fremden wie das Summen von Billionen Bienen klingen mögen,
aber sie enthält
die Schönheit jeder einzelnen Sprache, die du sprichst
und auch wenn es
dich zerreißen mag, ist es das, was dich so einzigartig macht.
Oh Kenia,
verglichen mit den Herausforderungen, mit denen du jeden Tag konfrontiert
wirst,
war der Turmbau
zu Babel nur ein Kinderspiel.
Oh Kenia, meine
Liebe.
Du steckst in Korruption
fern von jeglicher Vernunft
so wie deine
Füße im Schlamm stecken während einer Regenzeit.
Aber ich weiß,
dass mit der Zeit und mit richtiger Gartenarbeit,
wenn du all die
schädlichen Samen und das schlechte Unkraut entfernst,
sogar der
dickste Schlamm in etwas Nährreiches umgewandelt werden kann.
Du bist
sicherlich gesegnet mit der reichsten Erde,
aber oh Kenia,
meine Liebe, ich weiß nur zu gut,
dass du immer
noch von sozialer Ungerechtigkeit verhext bist.
Oh Kenia, meine
Liebe.
An deinen Hand- und
Fußgelenken seh ich immer noch
die Spuren der
kolonialen Ketten,
die dich davon
abhalten, frei zu sein.
Es ist so als
würde deine Hüfte schon zu den Rhythmen einer modernen Melodie schwingen,
aber in deinem
Kopf singst du immer noch die Lieder der Vergangenheit, wieder und wieder.
Oh Kenia, meine
Liebe.
Ich seh es in
deinen Augen,
dass du
weiterhin den amerikanischen Traum träumst,
aber ist er so
glorreich wie er scheint?
Könntest du den
Unterschied zwischen der Wahrheit und Lügen erkennen?
Hat Fortschritt
nur eine Richtung?
Und ist die
westliche Kultur mehr wie eine Infektion?
Du glaubst an
Gott, Bildung und Softgetränke.
Ist der Himmel
ein Ort, den du mit dem Boda-Boda (Motorradtaxi) erreichen kannst?
Oh Kenia, meine
Liebe.
Du kannst so süß
sein wie der Zucker in deinem schwarzen Tee,
aber dann kann
mich deine rote Wut auch wieder in die Flucht zwingen.
Und trotz all
der Konflikte, die dich zerreißen,
ist grün die
Farbe der Hoffnung und von Mama Mitis (Wangari Maathais) Herz.
Denn am Ende
hoffe ich einfach nur für dich,
dass dein Traum
von Frieden endlich wahr wird.
Und während die
weißen Wolken kommen und gehen,
werde ich für
immer ein(e) Kenianer(in) bleiben, ein(e) vaterlandsliebende(r) Bürger(in).